Birgit Loos

Buchtitel: Die Facetten des Daseins, ISBN 978-3-942355-32-2

Der schönste Tag im Leben


Heute darf ich endlich nach Hause. Nach Wochen voller Schmerzen, Ängste und Sorgen, habe ich endlich den Krebs besiegt und darf nach Hause. Mein Freund Marc holt mich gleich ab und wir fahren nach Hause. Er hat mir eine Riesenüberraschung versprochen, denn heute ist mein Geburtstag – in zweifacher Hinsicht. Ich werde heute tatsächlich fünfundzwanzig Jahre alt und ich habe den Krebs besiegt. Heute feiern wir das Leben.

Marc fährt mich in unsere Wohnung und gibt mir eine Stunde, um mich schön zu machen. Ich finde im Bad ein traumhaftes Kleid – himmelblau – meine Lieblingsfarbe, dazu passende Schuhe und meine Perücke. Marc hatte sie schon vorige Woche mit nach Hause genommen. Jetzt sehe ich, dass er sie wohl zum Perückenmacher gebracht hat, denn sie erstrahlt im neuen Glanz.

Ich gehe unter die Dusche und ziehe diesen Traum von Kleid an, schminke mich, setze die Perücke auf und tippe mir etwas von dem sündhaft teuren Parfüm hinter die Ohren, das wir in unserem letzten Urlaub, bevor der Krebs unsere Pläne durcheinander warf, gekauft hatten.

Als Marc zurück kommt, steht er staunend vor mir und dann lässt er mich zwei, dreimal vor ihm auf und ab flanieren. Er pfeift anerkennend durch die Zähne und nimmt mich dann in die Arme. Unser erster Kuss, zu Hause! Er beginnt langsam und zärtlich und wird dann wilder und leidenschaftlicher. Zu guter Letzt muss ich mich nochmals duschen und anziehen und erneut schminken. Doch es fühlt sich einfach nur gut an. Das Leben ist zu uns zurück gekommen.

Endlich! Wir dürfen wieder jung sein, wir dürfen ein Sexleben haben und wir dürfen uns daran erfreuen. Ich dufte wieder nach Maiglöckchen und nicht nach Krankenhaus, Erbrochenem und Chemo. Ich schmücke mich zwar noch mit fremden Federn, aber schon bald werden meine eigenen Haare wieder wachsen und dieses mal bin ich entschlossen, lasse ich sie wachsen, bis sie von selbst aufhören werden.

Dann fahren wir raus auf dem Reitplatz. Marc erzählt mir, dass sie das Gasthaus neben der Reithalle gemietet haben um meinen Geburtstag und mein zweites Leben würdig zu feiern. Der große Saal des Gasthofes ist wunderschön geschmückt – in allen Frühlingsfarben, weil ich den Frühling liebe und weil der Frühling Neuanfang bedeutet. Meine Freundin Jasmin kommt strahlend auf mich zu und gratuliert mir zu meinem Geburtstag. „Was sagst Du zu unserem Arrangements? Haben alles wir Mädel gemacht. Marc hat nur Anweisungen gegeben. Die harte Arbeit hat er uns überlassen. Aber mal ehrlich, es sieht doch toll aus.“ Ich nicke. Viel sagen kann ich nicht, denn jetzt kommen sie alle auf mich zu und wollen mir gratulieren. Meine Freunde aus dem Reitverein, meine Eltern, meine Großeltern, meine beiden Schwestern, Marcs Eltern und sein Bruder, meine Arbeitskollegen, Marcs Kollegen und der Rest unserer Freunde.

Staunend registriere ich, dass hier etwa achtzig Leute versammelt sind, die meinen Geburtstag feiern wollen oder besser gesagt, meinen Sieg über den Tod. Ich lasse mich von allen drücken, herzen, küssen und versuche jedem ein nettes Wort mit auf dem Weg zu geben, doch letzten Endes fehlen mir die Worte und ich beginne zu weinen. Sofort ist meine Mutter an meiner Seite und fordert alle auf, mir etwas Ruhe zu geben. Schließlich ist heute der erste Tag, an dem ich das Krankenhaus verlassen habe.

Ich lasse mich an meinen Tisch führen. Meine Mutter schenkt mir Kaffee ein und nötigt mich dazu etwas zu essen. Dann fällt mir auf, das Marc nirgends zu sehen ist. „Wo ist Marc?“ frage ich Jasmin, die mir gegenüber sitzt und sich die Torte schmecken lässt. „Abwarten. Der kommt schon noch.“ sagt sie geheimnisvoll.

„Nun red schon. Was habt Ihr denn vor? Da ist doch was im Busch!“ Ich weiß, dass meine Freunde und Marc etwas geplant haben. Das konnte mir gar nicht verborgen bleiben, bei diesen vielen unbeteiligten Blicken und diesem heimlichen Getuschel überall, wenn sie glauben, dass ich es nicht mit bekomme. Selbst ein völliger Trottel würde merken, dass hier etwas besonderes geplant ist. Aber meine Mutter lächelt nur weiterhin geheimnisvoll und fordert mich auf noch etwas Kuchen zu essen.

Plötzlich hört man draußen Pferdegewieher und Gitarrenmusik. Meine Schwester Andrea und Marcs Bruder Julian kommen herein und fordern mich auf mit ihnen nach draußen zu gehen. Selbstverständlich kommt der Rest meiner Gäste auch mit. Anscheinend wissen alle außer mir Bescheid, was jetzt passieren wird.

Meine Freunde aus dem Reitverein reiten in Formation draußen an. Jan und Iris spielen auf ihren Westerngitarren einen Countrysong, den ich leider nicht zu erkennen mag, obwohl sie sich alle Mühe geben – aber sie hätten doch noch etwas länger üben sollen. Als sie ihr Lied beendet haben, machen die Reiter einen Weg in der Mitte frei und Marc reitet durch die die so entstandene Gasse auf meinem Pferd Lady.

Lady ist wunderschön anzusehen. Sie hat bunte Bänder in der Mähne. Ihre Mähne glänzt seidig und jedes einzelne Haar sieht aus, als wäre es mit einem Lineal gezogen, so akkurat ist sie gebürstet. Ihr Fell schimmert wie Gold und sie prustet vor Vergnügen mich wieder zu sehen.

Ihr Reiter ist damit beschäftigt, das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Er hält sich ziemlich verkrampft am Sattelknauf fest und hat Mühe den Zügel und den Blumenstrauß und noch etwas undefinierbares in der Hand zu behalten. Marc hat Angst vor Pferden und kann nicht reiten. Er hat mich stets allein zum Reiten gehen lassen. Ihn jetzt hoch oben auf Lady thronen zu sehen, ist ein Bild mit Seltenheitswert. Ich versuche mir das Lachen zu verkneifen, weil man ihm leider allzu sehr seine Angst ansieht und dass er sich wünscht, endlich wieder auf dem Boden stehen zu dürfen, möglichst weit weg von meiner armen Lady und jedem anderem Pferd im nahem Umkreis. Aber er hält tapfer durch, bis er mit Lady direkt bei mir angekommen ist und gleitet dann mehr oder weniger elegant aus dem Sattel.

Er lässt mir Zeit Lady zu begrüßen und kommt erst dann auf mich zu, als ich mich von meinem Pferd abwende und ihm sage, wie toll ich es finde, dass er endlich seine Angst vor Pferden verloren habe und ob ich damit rechnen könne, dass wir demnächst gemeinsam über die Felder reiten würden.Marc wird totenblass bei diesem Gedanken und überreicht mir stattdessen den Blumenstrauß, versucht seinen Schrecken über meine Bemerkung zu verbergen, lächelt stattdessen und meint dann: „Isabell, ich werde mit Dir überall hin reiten, hin fliegen und hinfahren, wohin Du willst. Ich möchte den Rest meines Lebens mit Dir verbringen und jetzt – wo Du wieder gesund bist – habe ich die Hoffnung, dass dieser Rest noch mindestens achtzig Jahre und länger dauern wird. Und deshalb frage ich Dich:“
Marc unterbricht und fällt vor mir auf die Knie. Ich schaue mich verlegen um und sehen nur lauter lächelnde, glückliche Gesichter, die alle bereits wissen, welche Frage mir Marc stellen wird, wie mir langsam dämmert.

Er reicht mir das undefinierbare Etwas, das ich nicht erkennen konnte, als er sich krampfhaft an Ladys Sattelknauf festgehalten hat und das sich jetzt als eine Schmuckschatulle entpuppt. Ich öffne sie neugierig und finde darin einen wunderschöner Trauring aus Weißgold und Marc stellt jetzt die Frage, auf die alle gewartet haben.

„Isabell, willst Du meine Frau werden?“

Meine Mutter wischt sich mit einem Taschentuch die Tränen weg, selbst mein Vater räuspert sich verdächtig und sieht einen andern Weg. Meine Schwester Julia lacht: „Nun lass ihn doch nicht so zappeln und gib ihm endlich Antwort.“ Alle Blicke sind auf mich gerichtet. Es gäbe soviel was ich zu sagen hätte. Aber im Grunde genügt nur ein Wort.

Zwar sagt mir eine innere Stimme, dass ich unfair bin und ich ehrlich zu Marc sein sollte. Aber dies ist mein Tag. Es ist ganz egal was noch kommt, heute lebe ich. Heute will ich lachen, mich von Herzen freuen. Heute will ich glücklich sein und ich will, dass alle Menschen um mich herum ebenfalls glücklich sind. Heute ist mein Geburtstag. Heute lebe ich noch. Ich will nicht an morgen denken. Morgen ist weit weg. Heute feiern wir meinen Geburtstag, meine Verlobung.
Was morgen kommt, wird sich finden.


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