Birgit Loos

Projekt Reise Pine Ridge

Am 18. 9. 2016 um 4.00 Uhr am Morgen, war es soweit. Vier Teilnehmerinnen der Reisegruppe „Projekt Reise Pine Ridge“ trafen sich am Frankfurter Flughafen und damit begann das Abenteuer. Der Flug von Amsterdam nach Minneapolis hatte zwei Stunden Verspätung, holte diese zwar über dem Atlantik wieder auf, aber dank den amerikanischen Behörden und der langen Prozedur bei der Einreise, sahen wir von unserem Flugzeug nach Rapid City nur noch den Schweif. Damit waren wir erst einmal gestrandet für die nächsten sieben Stunden. Aber letzten Endes schafften wir es doch noch nach Rapid City und wurden bereits von Andrea, ihrem Mann Chris und den beiden anderen Teilnehmerinnen unserer Reisegruppe am Flughafen von Rapid City sehnsüchtig erwartet. Noch in der gleichen Nacht fuhren wir zu Judys Bed and Breakfest, wo wir die nächsten Tage wohnten und fielen dort todmüde in unsere Betten.

Am nächsten Morgen wurden wir von Judy mit einem opulenten Frühstück begrüßt und erfuhren bereits einiges über das Leben der Natives. Auch Standing Rock in North Dakota und der beabsichtigte Bau einer Ölpipeline unter dem Missouri hindurch, war ein Thema das uns auch in den kommenden Tagen immer wieder begegnete.
Bei traumhaften Wetter besuchten wir gemeinsam mit Wendell Yellow Bull die Red Cloud School und den angrenzenden Friedhof, wo der große Kriegshäuptling der Lakota begraben ist und hörten mit Interesse den Erzählungen von Wendell über Red Cloud zu. Mich faszinierten insbesondere die Bilder in der katholischen Kirche auf dem Gelände der Red Cloud School, denn diese erzählen die Geschichte der Kreuzigung aus Sicht der Natives.

Anschließend besuchten wir das College in der Reservation und lernten dort Wayne kennen, der uns das dortige Museum zeigte und später mit uns zu Abend aß. Nicht nur ich, sondern wir alle waren beeindruckt von seinem Wissen und seinen Ansichten. Der Ausflug endete bei Killi-Radio, wo Alex die Möglichkeit erhielt, sich nach ihrem vor Jahren verschwundenen Freund aus der Rosebud Reservation zu erkundigen und unsere Grüße an die Hörer von Killi-Radio weiterzugeben. Währenddessen unterhielt ich mich mit dem Moderator über die Ereignisse in Wounded Knee von 1973. Es fiel mir schwer zu realisieren, dass ich wirklich an diesem Ort stand und mich mit Menschen unterhielt, für die diese Ereignisse ein Teil ihrer Identität und ihrer Geschichte sind und nicht nur ein kurzer Bericht in den Nachrichten von vor mehr als vierzig Jahren. Das Gebäude von Kili-Radio ist Buddy Lammot gewidmet, der damals bei der Schießerei ums Leben gekommen war.

Am nächsten Tag war ich sehr früh wach. Ich genoss die Morgensonne auf Judys Terrasse und bekam Gesellschaft von Albert, Judys Hund, der mir geschlagene zehn Minuten lang die Pfote reichte und mir nicht von der Seite wich. Mein neuer Freund bettelte immer wieder um Streicheleinheiten, die ich ihm nach einem Blick in seine Augen, nicht verwehren konnte.
Wir fuhren zum Fort Robinson. Dort wurde einst Crazy Horse getötet und Wendell konnte uns einiges darüber erzählen. Doch die emotionalste halbe Stunde erlebten wir in einem der historischen Gebäude, wo eine Frau in der Sprache der Cheyenne die Geschichte vom Ausbruch und Flucht der Cheyenne aus Fort Robinson erzählte. Zwar verstand keiner von uns die Sprache, doch der Tonfall, die Bilder an den Wänden, die Tafeln, die die Tragödie in englischer Sprache beschrieben und die ganze Atmosphäre jagten uns allen eine Gänsehaut über den Rücken.
Nach diesem emotionsgeladenen Ausflug in die Vergangenheit waren wir froh, dass wir einen Grund zum Lachen fanden. Wir sahen ein Tipi auf einer Wiese stehen und Wendell erklärte sich stoisch dazu bereit mit jeder seiner „Besucherinnen“ vor diesem Tipi zu postieren und sich mit Handy und Kamera mehrfach ablichten zu lassen. An Ende dieser Aktion konnte ich Wendells Aussage nur bestätigen: „Lakota sind stoisch.“
Auf der Heimfahrt erreichte uns plötzlich ein Gruß von Killi-Radio an Andrea und ihre Ladys from Germany. Wir durften uns ein Lied wünschen und unser Kleinbus bebte bei dem Refrain, in den alle einstimmten: „We are all wounded at Wounded Knee – you and me!“
Unsere Fahrt in die Black Hills begann mit Verspätung oder Indian Time extrem. Sogar Chris war etwas genervt. Übrigens Chris: Andreas Mann ist in diesen paar Tagen endlose Kilometer mit uns gefahren, hat uns überall sicher hingebracht, hat sich nie beschwert oder war genervt von der geballten Weiblichkeit, die er zu kutschieren hatte. Hier noch einmal ein ganz großes Dankeschön speziell an ihn. Das war eine tolle Leistung.

Wir holten an diesem Tag noch Cornell ab, der uns in die Black Hills begleitete. Mir wurde wieder die Weite dieses Landes bewusst, als wir zu Cornells Grundstück kamen. Weitab von jeder Ortschaft, mitten im Nirgendwo, nach deutschen Maßstäben, wohnt er dort mit seiner Frau und Tochter und jeder Menge Tiere.
Die heiligen Berge der Lakota überwältigten mich. Ich fand keine Worte und heulte nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal auf dieser Reise, weil die Gefühle mit mir durchgingen. Auch Wendell und Cornell ging es ähnlich. Ich spürte wie sehr die beiden mit diesen Bergen verbunden sind. Plötzlich nahm mich Wendell in den Arm und erklärte, dass er an dieser Stelle – ein wunderschöner Fleck, auf den er wies – sein Tipi aufstellen würde und seine deutsche Frau würde dann direkt neben ihm leben. Hokahey! Ich glaube nicht, dass ich für ein Leben im Tipi geeignet bin, aber Wendell meinte, auch sie wären dafür nicht mehr stark genug. Ich liebe den indianischen Humor.
In dessen Genuss kamen wir alle am Tag darauf, als wir bei Wendell zum Barbeque eingeladen wurden. Während die Männer, Chris und Wendell zum Einkaufen nach Nebraska fuhren und Andrea den deutschen Kartoffelsalat anrichtete, wurden wir anderen Peji, Wendells ältestem Sohn, als Helfer für den Aufbau des Zeltes zugeteilt. Skeptisch hörten wir Pejis Anweisungen und machten uns ans Werk. Nachdem sich herausstellte, dass Alex am besten den Hammer führen und die Heringe in die Erde versenken konnte, klappte es ganz gut mit uns. Peji jedenfalls war mit seinen weiblichen Helfern sehr zufrieden und nannte uns seine „Soldiers“.

Das Highlight des Tages war jedoch die Mustangjagd mit ihm. Der Plan war, dass Angelika und Birgit Grundmann, unsere beiden Reiterinnen, die jungen Mustangs reiten, während für die vier restlichen Greenhorns die brave Lucy herhalten sollte. Doch dazu mussten die Mustangs erst einmal eingefangen werden. Also sprangen wir zu viert in Pejis Pickup und suchten die Pferde. In völliger Unkenntnis über die „Straßen“ schloss sich uns noch ein Berliner Ehepaar an, die in ihrem eigenen Wagen hinter uns herfuhren. Es ging über Stock und Stein, der Pickup neigte sich manchmal gefährlich zur Seite. Das Ende vom Lied war, dem Pickup ging das Benzin aus, die Mustangs blieben unauffindbar und wir liefen nach Hause, während das Berliner Ehepaar mit Peji zurückfuhr um Benzin zu besorgen. Letzten Endes durften wir dann aber doch alle noch einmal reiten. Unsere Amazonen, jeder für sich allein mit der braven Lucy. Nach deren Rückkehr durfte der Rest von uns auch auf Lucy aufsteigen und wurden von den Kindern geführt, die sich prächtig über die ungelenken Frauen aus Good-old-Germany amüsierten. Irgendwann hatte Lucy dann die Schnauze gestrichen voll von unseren Reitversuchen und verweigerte jeden weiteren Schritt. Wir ließen das Tier dann in Frieden. Wendells Enkelin aber zeigte uns was eine wirklich gute Reiterin ist. Wie verwachsen mit ihrem Pferd tauchte sie beim Barbeque auf und dieses Mal zeigte Lucy keinerlei Ermüdungserscheinungen mehr. Merke: Ein Pferd erkennt, wenn sein Reiter Null Ahnung vom Reiten hat.

Unser letzter Tag bescherte uns noch einmal ein besonderes Erlebnis, das wir Peji verdankten. Wir fuhren zum Kinder-Pow Wow in die Red Cloud School. All diese Kinder in ihren wunderschönen Trachten zum Klang der Trommeln tanzen zu sehen, war ein ganz besonderes Erlebnis. Gleich darauf wurden aber wir zum Erlebnis für alle Anwesenden, weil Wendells Sohn, der die Trommel schlug und sang, den Organisatoren mitteilte, dass hier die mittlerweile berühmten oder sollte ich sagen die berüchtigten (?) Ladys von Andrea Cox aus Germany anwesend seien. Wir wurden zum Mittanzen aufgefordert. Es gab keine Chance sich zu drücken, obwohl einige von uns das am liebsten getan hätten. Zum Glück hatten wir Christina dabei, die in Deutschland schon als Kind bei Pow Wows mittanzte und genau wusste, was sie zu tun hatte. So waren wir nicht nur eine Lachnummer, sondern ernteten auch bewundernde Blicke. Na ja, Christina erntete sie. Als Belohnung bekamen wir alle ein T-Shirt der Red Cloud School von diesem Pow Wow. Andreas Morddrohung gegenüber Peji ging ins Leere, weil Christina ihm im gleichen Moment um den Hals fiel und sich für die Erfüllung ihres Kindheitstraums bedankte. Die Lacher waren jetzt auf unserer Seite, denn damit hatte der Filou wohl nicht gerechnet.

Glücklicherweise holte Chris seine Frau und die Ladys from Germany gerade noch rechtzeitig ab, sonst hätte er es doch noch geschafft uns in den buchstäblichen April zu schicken. Sagte ich es nicht bereits: Ich liebe den Humor dieser Menschen, auch wenn ich die Zielscheibe bin.
Damit endete unsere Reise mit Andrea und Chris. Wir haben viel gesehen, viel erlebt und wunderbare Menschen kennengelernt, die ich so schnell nicht vergessen werde. Es gab vieles was mich schockierte und dass ich von einem demokratischen Land wie den USA überhaupt nicht erwartet hatte, wie Zwangsumsiedlungen, Verseuchung von Gewässern, an denen Menschen leben. Auch, dass gerade in der Reservation, wo die ärmsten Menschen leben, die teuersten Preise verlangt werden und vieles mehr. Hilfe ist überall nötig und manchmal wünschte ich mir, ich hätte Donald Trumps Geld, damit ich überall gleichzeitig helfen könnte. Leider habe ich nicht einen Bruchteil davon und ich kann nur Andreas Bitte weitergeben: Bitte helft diesen Menschen. Ich möchte nicht von einem dieser Kinder, die ich kennenlernen durfte, hören, es habe sich umgebracht, weil es keine Perspektive in seinem Leben gesehen hat. Es wäre schön, wenn unsere so geringe Hilfe ihren Teil dazu beitragen könnte, den Lakota in Pine Ridge zu einem etwas besseren Leben zu verhelfen.

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Alle Informationen über die Lakota in Pine Ridge und wie man ihnen helfen kann findet man unter
www.andreac.de
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